Leserbrief zur geplanten Süd-West-Umgehung

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,

vor vielen Jahren in Bretten geboren und im heutigen Stadtteil Dürrenbüchig aufgewachsen, besuche ich meine alte Heimat heute noch regelmäßig und beschäftige mich mit der Entwicklung der Stadt, den aktuellen Problemen, der Veränderung der Lebensbedingungen und der politischen Situation.
Mein besonderes Interesse liegt dabei seit langem im Bereich der Verkehrsverhältnisse und der Verkehrspolitik.

Ein aktuelles und dabei höchst umstrittenes Projekt – v.a. im Hinblick auf Umwelt-belastung und den Klimawandel – ist dabei die geplante Südwest-Umfahrung der Stadt Bretten. Das zunehmende Verkehrs-aufkommen ist für eine Stadt und deren Einwohner, v.a. für die an den Hauptverkehrsstraßen Wohnenden, eine starke Belastung.
Ich selbst habe viele Jahre in Erlangen an einer Ausfallstraße mit täglich über 20.000 Fahrzeugen gelebt und kenne diese Situation sehr gut. Deshalb verstehe ich grundsätzlich, dass viele Kommunen eine Ortsumfahrung zur Entlastung ihrer inner-städtischen Bewohner und einer Verbesserung ihrer Wohnsituation anstreben.

Trotzdem halte ich diese Art der scheinbaren, generell nur kurzfristigen wirkenden
lokalen Problem“lösung“ heutzutage für falsch.

Und zwar aus erstmal juristischen und politischen Gründen:

– Zusätzliche Straßen, die erfahrungsgemäß langfristig noch mehr Verkehr anziehen,
widersprechen eklatant dem Geist und der Zielsetzung sämtlicher nationaler und
internationaler Vereinbarungen, Verträgen, Gesetzen…. im Hinblick auf den Klima-
wandel und die angestrebte „Klimaneutralität“ bis 2050.
Zu diesen Abkommen gehören die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen
von 2019, das Klimaschutzabkommen von Paris, die Klimaziele der EU, das
novellierte Klimaschutzgesetz des Bundes von 2021, die Klimaschutzgesetze der
Länder (z.B. Bad.-Württ. 2020, § 7 f Klimamobilitätspläne für Gemeinden…),
das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 u.v.a.m.
Von unzähligen Studien und Gutachten vieler wissenschaftlicher Einrichtungen und
Institute ganz abgesehen.

Die Bundesregierung hat deswegen beschlossen,die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 bis 2030 um 65% und bis 2040 um 88% zu senken, um bis 2045 Netto-Treibhausneutralität und damit den Temperaturanstieg auf die vereinbarten 1,5Grad Celsius zu begrenzen.
Deutschland verfehlt seine rechtlichen Verpflichtungen aus der Klimaschutzver-ordnung vor allem im Verkehrssektor, der mit 30 % an den CO2-Emissionen beteiligt ist. Die Emissionen gingen im Zeitraum zwischen 1990 und Ende 2019 kaum zurück, der Verkehrssektor gilt deshalb als „Achillesferse“des Klimaschutzes.

Im Klimaschutzgesetz von Baden-Württemberg wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden empfohlen, „im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Klimamobilitätspläne aufzustellen, welche Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung der Treibhausgasemissionen unter Berücksichtigung der Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft festlegen“.
Dazu dürfte auch gehören, nicht nur Investitionen zu tätigen, sondern auch klimaschädliche Bauinvestitionen wie eine Ortsumfahrung nicht zu verwirklichen.
Eine ganzheitliche Betrachtung des Verkehrssektors vor dem Hintergrund der Klimaschutzziele ist nach diesem Klimaschutzgesetz notwendig, um die Verkehrs-wende voranzutreiben und die angestrebten Emissionsminderungsziele zu erreichen.

An lokalen und ökologischen Ablehnungsgründen sind zu nennen:

Es ist eine verkehrswissenschaftliche und verkehrspolitische Binsenweisheit sowie eine der persönlichen Erfahrung, dass neue Straßenbauinvestitionen zusätzlich neuen Autoverkehr erzeugen. Denn wenn man mit dem eigenen Fahrzeug künftig schneller und bequemer von A nach B kommt, wird dies ausgenützt.

Die Südwest-Ortsumfahrung wird weitere BAB-Mautflüchtlinge und „Mauteinsparer“ anlocken. Denn die direkte Strecke B 35 /B 294 von Pforzheim über Bretten nach Bruchsal und umgekehrt ist für den Nord-Süd-Verkehr kürzer als über das Karlsruher Kreuz, das außerdem durch regelmäßige Staus bekannt ist. Die Verkehrsbelastung in der Stadt entsteht nicht nur durch Fernverkehr, auch der innerstädtische Quell und Zielverkehr ist beachtlich.

Der Landschaftsverbrauch von vielen Hektar am Rechberg, die Zerschneidung und Verinselung von Habitaten für Fauna und Flora, die Zerstörung von Landschaft und Landschaftsschutzgebieten, von wertvollen, erhaltenswerten Streuobstwiesen und von FFH-Gebieten ist nicht zu rechtfertigen. Die geplanten tiefen Einschnitte in den Berg oder gar eine „Untertunnelung“ können nicht nur bezüglich der Kosten als irrsinnig und kontraproduktiv bezeichnet werden.

Bretten wird nach dem Bau der SW-Umfahrung vollständig in allen Himmelsrichtungen von Schnellstraßen umgeben sein. Ist das wirklich erstrebenswert? Warum wird eine direkte Verbindung von der B 294 über das Salzachtal am südöstlichen Stadtrand entlang zur B 35 nicht als Alternativplanung einbezogen? Dort wohnen vermutlich die Einflussreichen und Mächtigen der Stadt?

Ortsumfahrungen sind keine Lösung, sondern verlagern nur die vorhandenen Probleme an den Stadtrand und schaffen neue – dann leiden andere Menschen, Natur und Umwelt darunter!

Unser grundsätzliches Verkehrsproblem: Fast jeder Zeitgenosse will überall und jederzeit möglichst bequem und schnell mit dem eigenen Fahrzeug hinfahren können – aber keiner will den Autoverkehr vor dem eigenen Haus noch in der eigenen Straße haben.

Die Klimaprobleme werden aber nicht einmal ansatzweise gelöst, solange in Politikerreden, Vereinbarungen, Verträgen, Parteiprogrammen, Gesetzen usw. vieles für den Klima- und Umweltschutz nur auf dem Papier geregelt bleibt, in der Praxis auf der kommunalpolitischen Ebene aber oft genau das Gegenteil gemacht wird, egal ob es um Straßenbau, Flächenverbrauch, Emissionen….geht.
Solange Kommunalpolitikern und der Verwaltung die kurzfristige (und kurzsichtige) eigene Problemlösung vor Ort im Sinne der Stadtbewohner (aus durchaus erstmal verständlichen Gründen) wichtiger ist als eine gesamtgesellschaftliche Betrachtungsweise über den eigenen Tellerrand hinaus – solange wird sich nichts ändern!
Mit den bisherigen von der Politik beschlossenen Maßnahmen sind die Klimaziele nicht erreichbar. Solange jedoch national wie international im Sektor „Verkehr“ keine Wege aufgezeigt werden, wie die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden kann, solange sollten/dürfen keine neuen Ortsumfahrungen genehmigt werden. Die zusätzlich entstehenden sozialen und ökologischen Folgekosten des motorisierten Individualverkehrs, nach Expertenmeinung heute schon ein dreistelliger Milliardenbetrag pro Jahr, die nicht vom Verursacher getragen werden, sondern von der Allgemeinheit, werden sich weiter erhöhen.

Eine neue (Umfahrungs)Straße ist heutzutage immer umstritten, die Meinungen gehen weit auseinander – das ist in einem demokratischen Land durchaus üblich und auch wünschenswert.
Wenn aber ein OU-befürwortender Stadtrat den OB und die Verwaltung auffordert,(verkehrs)politisch Andersdenkende „zu beobachten“, damit diese nicht noch weiter ihr „Unwesen treiben“ – dann ist das ein gefährliches und armseliges Demokratie-verständnis und erinnert an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte.

Genau so unsäglich ist die Behauptung, Gegner der Landschaftsasphaltierung würden bei ihren Gegenargumenten die „Klima- und Naturschutzkeule“ auspacken und über Naturverbrauch und Emissionen „lamentieren“. Er hat offensichtlich nichts verstanden oder will nichts verstehen.
Der Herr sollte an der VHS einen Grundkurs in Politik, Demokratie und Zeitgeschichte belegen, am besten gleich noch zusätzliche über die Klimaproblematik, Klimatologie, Umweltschutz und Ökologie.

Auch der Vorwurf der BIVEB würde nicht über ihren Tellerrand hinausschauen, denn wenn „die Verkehrs- und Energietransformation abgeschlossen ist und Deutschland rein elektrisch fährt, werden Geräuschemissionen oder der Abgase auf der Umgehungsstraße kein Thema mehr sein“.

So etwas nennt man wohl die Zukunft gesundbeten. Eine solche tiefgreifende Verkehrs- und Energiewende werden wir so schnell nicht erleben, v. a. dann, wenn die Nutznießer der jetzigen Situation, die mächtigen Lobbyisten, die Vertreter der Bequemlichkeit, die Einflussreichen u.a. sich weiter mit aller Macht dagegen wehren. Nur E-Autos in Deutschland ist reines Wunschdenken. So schnell geht das nicht, ist auch nicht wünschenswert, solange ein großer Teil des dafür notwendigen Stromes in Kohle- und Kernkraftwerken produziert wird.

Die Gewinnung von Rohstoffen und der Verbrauch, die Produktion und die finale Entsorgung von E-Autos ist nicht umweltfreundlicher als bei herkömmlichen Fahrzeugen. Lediglich der Gebrauch der Fahrzeuge während der Nutzungsdauer ergibt einen kleinen Vorteil.
Lauter Elektroautos ergeben noch lange nicht die notwendige Verkehrswende. Der Platzbedarf für den fließenden und ruhenden Verkehr wird nicht geringer, die Staus auch nicht, die Feinstäube beim Reifenabrieb (Anteil Autoverkehr 30% an den gesamten Feinstaubemissionen) verschwinden genau so wenig – denn der in unseren Breiten vorherrschende Nordwest- bis Südwestwind wird diesen von der SW-Umfahrung dann immer noch in Richtung der Kernstadt Bretten wehen.

Stellt sich also die Frage, wer hier Einzelinteressen vertritt und wer das Gemeinwohl
im Auge hat? Natur-, Umwelt- und Klimaschutz ist per se Menschenschutz – nicht die Schaffung von Voraussetzungen für noch mehr Autoverkehrsaufkommen.
Politiker, die mit den Methoden des letzten Jahrhunderts, eigentlich Jahrtausends, die Verkehrsprobleme von heute und die der Zukunft lösen wollen, werden keine Verbesserungen erreichen, sondern die Probleme insgesamt verschlimmern.

Dass Bürgerinitiativen, Bürger, Wähler … uneinsichtige Politiker bei Notwendigkeit „gewaltig nerven“, gehört zu ihren demokratischen Aufgaben in einer Zivilgesellschaft— um Schlimmeres zu verhindern.

In diesem Sinne wünsche ich meiner alten Heimat und ihren Menschen alles Gute –
vor allem kluge und zukunftsfähige Entscheidungen der politisch Verantwortlichen.

Mit freundlichen Grüßen

D. Argast

Schreiben ging an:

Herrn Oberbürgermeister Martin Wolff
An alle Gemeinderatsfraktionen

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