Ausstellung zum Insektensterben
Eine wohl einmalige Käfersammlung besitzt das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart: In vierzig Insektenkästen befinden sich sechstausend Käfer. Besucher der Ausstellung „Anthropozän – Zeitalter ? Zeitenwende? Zukunft?“, die diese Käfer aufmerksam betrachten, reiben sich schon nach kurzer Zeit die Augen: Alle Käfer sehen gleich aus und alle sind Puppenräuber. Sie gehören zu den Laufkäfern der Gattung Calosoma. Ihr Name geht auf ihre bevorzugte Nahrung Raupen und Puppen von forstschädlichen Schmetterlingen zurück. Puppenräuber vertilgen beachtliche Mengen dieser Schadinsekten. Sie haben einen großen Nutzen für die Forstwirtschaft.
Warum nun werden so viele Käfer derselben Art ausgestellt?
Kleine Notizzettel, die jedem Insektenkasten beigefügt sind, geben einen Hinweis. Auf ihnen steht, sorgfältig mit der Schreibmaschine getippt : “ Spanien – Costa brava – Playa de Aro Mas Nou Juni 1974 nach DDT-Besprühung der Korkeichenwälder durch Flugzeuge alle Tiere tot aufgesammelt“ . Die hier ausgestellten Käfer sind also Opfer einer Schädlingsbekämpfungsaktion, die eigentlich Schwammspinner und Eichenwickler treffen sollte.
In Wäldern kommt es immer wieder zu Massenvermehrungen von Schmetterlingen wie dem Schwammspinner oder dem Eichenwickler, deren gefräßige Raupen durch Blattfraß die Bäume schwächen und so den Holzertrag verringern. Um dies zu verhindern, wurden von den spanischen Forstbehörden Bekämpfungsmaßnahmen angeordnet. Großflächig wurde im Jahr 1974 mit dem Flugzeug das Insektengift DDT auf die befallenen Bäume gesprüht. Mit durchschlagendem, aber zugleich zweifelhaften Erfolg. Die gefräßigen Raupen wurden zwar getötet, aber gleichzeitig starben viele andere nicht schädliche Insektenarten wie der Puppenräuber. Tausende dieser nützlichen Käfer lagen tot auf dem Waldboden.
Ein Biologe hat diese Insekten aufgesammelt und in mühevoller, zeitraubender Arbeit präpariert. Er hat damit den leichtfertigen Einsatz von DDT und die damit verbundenen verheerenden Folgen auf das Ökosystem dokumentiert. Diese Chemikalie wurde seit 1939 zur Bekämpfung von Insekten eingesetzt. Weltweit gelangten rund zwei Millionen Tonnen in die Umwelt. DDT reichert sich in der Nahrungskette und in der Leber, dem Fettgewebe sowie dem Nervensystem von Mensch und Tier an. Da es sich nur sehr langsam abbaut ist es auch heute noch an fast jedem Ort der Welt nachweisbar. Besonders betroffen waren waren davon Tiere, die am Ende der Nahrungskette stehen, z. B. Greifvögel wie Bussarde und Turmfalken. Sie nahmen mit ihren Beutetieren hohe Konzentrationen an DDT auf. Ihr Kalkstoffwechsel wurde gestört, so dass sie dünnschalige Eier legten, die beim Brüten leicht zerbrachen. Dadurch ging der Bestand dieser Vögel rapide zurück. Erst nach dem Verbot dieser giftigen Chemikalie nahm die Zahl der Greifvögel wieder zu.
Hat unsere Gesellschaft daraus gelernt, die richtigen Schlüsse gezogen und konsequent gehandelt?
Leider nein! – Weltweit werden heute Jahr für Jahr zehntausende Tonnen Pestizide versprüht, was zu einem erschreckenden Rückgang der Biomasse von Fluginsekten um 75 Prozent und zu einem Verlust der Artenvielfalt geführt hat. Allein in der südlichen Oberrheinebene starben im Jahr 2008 11 000 Bienenvölker durch das großflächige Ausbringen von Neonicotinoiden in der Landwirtschaft. Dies trug auch zum Rückgang insektenfressender Vögel bei. Das Insektensterben beschleunigt sich. Dazu trägt nicht nur die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren großflächigen Monokulturen unter Einsatz von Pestiziden und Dünger, sondern auch der Verlust von Lebensräumen durch die fortgesetzte Flächenversiegelung für Wohngebiete, Gewerbeflächen und neue Straßen bei.
Die toten, in Glaskästen aufgebahrten Puppenräuber sollten uns eine Warnung sein. Sie fordern uns auf, unverzüglich zu handeln und künftig alles zu vermeiden, was der Natur schaden könnte.
Die Ausstellung „Anthropozän – Zeitalter? Zeitenwende? Zukunft?“ kann noch bis zum 19. Juni 2022 im Stuttgarter Naturkundemuseum Schloss Rosenstein, besucht werden.